30 Jun Interview mit den Gewinner:innen des FOCAL-Awards 2024 über ihren Film „Stasi FC“
GRAP-Mitglieder Vanessa Christoffers-Trinks und Stephen Maier haben für die Dokumentation „Stasi FC“ bei den FOCAL International Awards 2024 gleich zwei Preise gewonnen: Stephen erhielt den „Jane Mercer Researcher of the Year Award“ und zusammen wurden sie in der Kategorie „Best Use of Footage in a History Feature“ geehrt.
FOCAL International (Federation of Commercial Audiovisual Libraries) vertritt als Berufsverband in über 30 Ländern Archive und Archive Producer:innen.
Wir gratulieren euch beiden ganz herzlich zum FOCAL-Award 2024!
Stephen, du warst bei der Preisverleihung in London. Wie hast du den Abend erlebt?
Stephen: Der Abend der Preisverleihung war sehr prestigeträchtig und wurde von FOCAL wunderbar organisiert. In diesem Jahr war die Veranstaltung im Church House Westminster und damit an einem besonderen historischen Ort. Während des 2. Weltkriegs tagte hier das Britische Parlament unter Churchill. Bei so viel Geschichtsträchtigkeit und Red-Carpet-Momenten war schnell klar, dass mir dieser Abend lange in Erinnerung bleiben wird.
Die Preisverleihung wurde mit viel Witz von der britischen Comedian Lucy Porter moderiert. Es gab an diesem Abend auch genug Gelegenheiten ins Gespräch zu kommen, um alte Kontakte zu pflegen und neue Bekanntschaften zu schließen. Selten hat man die gesamte Archiv-Community so geballt an einem Ort versammelt.
Gleich zweimal als Gewinner auf die Bühne zu dürfen, hat mich dann doch sehr überrascht und dementsprechend war ich etwas aufgeregt. So viel Rampenlicht bin ich nicht gewöhnt. Eine Ansprache hatte ich, für den Fall der Fälle, nur einmal vorbereitet. Ich habe mir aber sagen lassen, dass ich einigermaßen souverän meine beiden Dankesreden gehalten habe. Ich bin sehr glücklich und dankbar über die persönliche Auszeichnung als bester Researcher und den Preis für die Produktion.
Welche Bedeutung hat der FOCAL-Award für euch?
Vanessa: Der FOCAL-Award ist die einzige Auszeichnung, bei der unsere Arbeit berücksichtigt wird. Daher ist dieser Award sehr wichtig für uns und eine Anerkennung unseres Berufs und unserer Arbeit, die ja für einen archiv-lastigen Dokumentarfilm wie „Stasi FC“ elementar wichtig ist! Vielen Menschen, auch in der Filmbranche, ist immer noch nicht klar, wieviel Arbeit in der Archivrecherche und Rechteklärung steckt. Da ist es schön, wenn man für die ganze Energie, die man reingesteckt hat, auch mal belohnt wird.
Stephen: Ich sehe das genauso. Als Archive Producer:innen stehen wir ja selten im Rampenlicht und hier dürfen wir auch einmal glänzen. FOCAL tut viel für die Archiv-Community, sowohl als Sprachrohr für die Archive als auch für die Archive Producer:innen und Researcher:innen. Die Preisverleihung bringt alle für einen Abend zusammen. Neben einem schönen Abend ist der persönliche Austausch unter Kolleginnen und Kollegen für mich sehr wichtig.
Lasst uns über den Film „Stasi FC“ sprechen. Die Dokumentation erzählt, wie der DDR-Fußball von der Staatssicherheit kontrolliert wurde. Es sind Geschichten von Verrat, Mord, Flucht und Manipulation. Wie seid ihr zu der Produktion gekommen, welche Rollen habt ihr übernommen?
Stephen: Ich habe fast drei Jahre immer wieder in Phasen an dem Projekt gearbeitet. Der Regisseur und Produzent Arne Birkenstock hatte meinen Kontakt von einem Kollegen erhalten. Da ich bereits Expertise mit der Stasi-Thematik hatte und mich mit DDR-Quellen gut auskenne, wurde ich dann schnell Teil des Teams. Das inhaltliche Konzept der Dokumentation war anfangs noch sehr ergebnisoffen und so konnte ich mit dem von mir recherchierten Archivmaterial zur Entwicklung des Projekts beitragen. Ich habe zum Beispiel viele Stasi-Akten gesichtet, die nicht im Film zu sehen sind, aber trotzdem Teil der Geschichte wurden. Archivmaterialien können so die Geschichte erzählen und vorantreiben und nicht wie oft rein illustratorisch und belegend eingesetzt werden. Die Arbeit an solchen “archive-driven documentaries” macht mir am meisten Spaß.
Vanessa: Ich bin erst später in das Projekt eingestiegen bin, da war der Schnitt schon recht fortgeschritten. Es wurde aber immer noch umgestellt und Details mussten nachrecherchiert werden. Meine Hauptaufgabe bestand in den Verhandlungen mit den Archiven und Sendern, um alles in ein vorgegebenes Budget zu pressen. Sowie die ganze Endabwicklung inklusive Bestellung des Mastermaterials.
Was hat euch an dem Thema der Dokumentation gereizt?
Vanessa: Ich finde das Thema DDR-Geschichte sehr spannend und ich bin zudem auch Fußballfan. Daher gefällt mir diese Verbindung sehr gut. Mir war auch nicht klar, wie sehr die Stasi den DDR-Fußball gelenkt hat.
Stephen: Im Gegensatz zu Vanessa bin ich nicht unbedingt der größte Fußball-Enthusiast. Als Archive Producer lernt man aber immer wieder neue Themen kennen und schätzen. Das ist das Spannende an unserem Beruf. Man lernt jeden Tag etwas Neues durch das Archivmaterial, welches man recherchiert, da man immer auch den Kontext verstehen muss.
Gab es ungewöhnliche oder neue Quellen, die ihr während der Produktion gefunden und genutzt habt?
Stephen: Die wichtigste Quelle war das Deutsche Rundfunkarchiv in Babelsberg, wo das DDR-TV-Erbe verwahrt wird. Ich hatte das Privileg, mehrere Tage vor Ort Bänder über die damalige Fußballberichterstattung zu sichten. An einem Tag wurde ich sogar von Regie und Schnitt begleitet. Somit bekamen wir früh im Entstehungsprozess ein Gefühl für das Archivmaterial und was damit möglich ist. Weil ich ganze Bänder gesichtet habe und nicht nur einzelne, digitalisierte Clips in einer Archivdatenbank, konnte ich auch Aufnahmen finden, die wir sonst nicht entdeckt hätten.
Eine weitere wichtige Quelle war das Stasi-Unterlagen-Archiv. Es gibt einige bekannte Filme des Ministeriums für Staatssicherheit, aber wir haben anhand von textbasierten Archivlisten auch unbekannte Aufnahmen erhalten. Spannend war auch die Recherche in der Fotoabteilung der Behörde. Es ist schon etwas Besonderes, wenn man sich mit weißen Archivhandschuhen durch Kartons voller Überwachungsfotos arbeitet und dem Archivar Signaturen von Fotos zuruft, die man digitalisieren möchte.
Einen wichtigen Beitrag vom ZDF aus den 1980er Jahren hätten wir nicht gefunden, hätte die Stasi damals nicht Mitschnitte des Westfernsehens angefertigt. Ein interessanter Bericht über die beiden Fußballspieler und DDR-Flüchtlinge Falko Götz und Dirk Schlegel war im ZDF-Archiv nicht gut genug verschlagwortet. Weil ich den Bericht aber aus dem Stasi-Mitschnitt hatte, konnte das ZDF-Archiv diesen dann doch lokalisieren.
Was war eure größte Herausforderung bei dieser Produktion?
Vanessa: Für mich war die größte Herausforderung die Einhaltung des Budgets. Es war zwischendurch nicht klar, ob uns das nicht total um die Ohren fliegt! Da mussten wir schon sehr viel Verhandlungsgeschick auffahren, um das noch einigermaßen im grünen Bereich zu haben. Fußballrechte sind dann natürlich nochmal eine Herausforderung an sich!
Stephen: Da wir am Anfang mit dem inhaltlichen Konzept noch sehr ergebnisoffen waren, habe ich unzählige Stunden an Archivmaterial an die Produktion bereitgestellt. Hier ist es wichtig den Überblick zu behalten und gut geführte Archivlisten sind dabei das A und O. Ich habe bei dem Projekt meine Arbeit mit Listen perfektionieren können.
Wie verlief die Zusammenarbeit mit der Regie und dem Schnitt? Hattet ihr genaue Vorgaben oder konntet ihr sehr frei recherchieren?
Stephen: Wie bereits erwähnt, waren wir am Anfang sehr ergebnisoffen und ich in der Recherche sehr frei. Man vereinbart meist am Anfang mit der Regie eine Liste mit gewünschten Motiven und dann findet man abseits davon weitere Materialien. Die Kunst ist es, bei der Recherche nicht den roten Faden zu verlieren, aber dennoch potenzielle Schätze zu erkennen, die so erstmal nicht gewünscht waren. Diese Funde kann man mit dem Kreativteam besprechen und vielleicht finden sie dann ihren Weg in den Film.
Bei der Arbeit mit Archivmaterial sind aber in der Regel nicht nur Archive Producer:innen, Schnitt und Regie involviert. Gerade in diesem Projekt bei dem ich unzählige Stunden an Materialien an die Produktion geliefert habe, war eine Assistenzposition für das Archivmaterial sehr wichtig. Paul Ulmer war die Schnittstelle zwischen mir und dem Schnitt. Er hat alle Materialien im Detail gesichtet und verschlagwortet, sodass der Schnitt sich zurechtfinden konnte. Eine wichtige Position bei der Arbeit mit Archivmaterial hat auch die Postproduktion. Sie ist die technische Schnittstelle und sorgt für einen reibungslosen Ablauf bei Bereitstellungen von Materialien und vielem mehr.
Weiterhin dürfen die Menschen nicht unerwähnt bleiben, die für Filmarchive und Film- und Fotoagenturen arbeiten. Gerade bei diesem Projekt muss ich die Unterstützung der RBB Media hervorheben. Sie ist zuständig für die Lizenzierungen des DDR-TV-Erbes aus dem Deutschen Rundfunkarchiv. Eine Mitarbeiterin der RBB Media hat nach meinen Motivwünschen eine Vorrecherche gemacht und relevante Bänder herausgesucht, die ich dann in Babelsberg sichten konnte. Aber auch diese Arbeit wäre nicht möglich gewesen, hätten nicht zuvor Archivar:innen in mühevoller Kleinstarbeit Materialien gesichtet und verschlagwortet. Somit gab es mitunter sehr detaillierte Listen von 30 Jahre alten Fußballspielen der DDR-Oberliga mit Angaben zu Spielern, Toren, Fouls und anderen Spielaktionen. Das war für meine Recherchen sehr wertvoll.
Habt ihr einen persönlichen Lieblingsmoment im Film?
Vanessa: Ich finde die ganze Story um Lutz Eigendorf sehr spannend. Da er ja nicht mehr lebt, musste seine Geschichte hauptsächlich über Archiv erzählt werden, verbunden mit den neu gedrehten Interviews der ehemaligen Spieler, die auch von Eigendorf erzählen. Das finde ich sehr gelungen.
Stephen: Es gibt einen Gänsehautmoment, der auch im Trailer zu sehen ist. Der in die BRD geflohene Lutz Eigendorf wird in einer Talkshow gefragt, wie seine bisherige Fußballkarriere im Westen verläuft. Er antwortet „Toi toi toi – ich glaube bis jetzt rollt es ganz gut”, und macht dabei die Geste für „auf Holz klopfen”. Kurze Zeit später ist er tot. Mutmaßlich von der Stasi ermordet.
Oft gibt es nur eine:n Archive Producer:in pro Produktion. Welche Vorteile seht ihr im Teamwork?
Vanessa: Ich bin ein großer Fan von Teamwork beim Archive Producing, insbesondere bei solch großen Projekten. Wir haben alle unterschiedliche Erfahrungen und Know-How, die wir im Team gut zusammenbringen können. Manchmal hängt man irgendwo fest und kommt nicht weiter, dann ist es von Vorteil, wenn man sich mit jemandem austauschen oder brainstormen kann. Auch Krankheit und Urlaub lassen sich so besser organisieren und auffangen. Wenn man mal ausfällt (auch weil zum Beispiel ein anderes Projekt reingrätscht), kann der oder die andere einspringen.
Stephen: Produktionen unterschätzen manchmal den zeitlichen Aufwand in den heißen Phasen eines Projekts, wie zum Beispiel den Picture Lock. Hier müssen gleichzeitig und in kurzer Zeit Verhandlungen geführt, Lizenzverträge geprüft und unterzeichnet sowie die Bereitstellung des Mastermaterials koordiniert werden. Das Ganze meist mit einer Vielzahl von Rechteinhaber:innen. Das ist unglaublich viel Kommunikationsaufwand mit allen Beteiligten.
Auch die Recherche und Rechteklärung vorab kann sehr aufwendig sein. Es kommt immer wieder vor, dass man mehrere Arbeitstage aufwenden muss, um die Rechte an nur einem einzigen Filmausschnitt oder Foto zu klären, weil es für das Projekt sehr wichtig ist. Aus diesem Grund profitieren auch die Produzent:innen von einem Team aus Archive Producer:innen, da somit die Abwicklung eines Projekts unter Zeitdruck reibungsloser verläuft. Insbesondere bei Serien mit mehreren Folgen und viel Archivmaterial würde ich nur noch im Team arbeiten. Alles andere wäre fahrlässig.
Wo kann man den Film „Stasi FC“ aktuell in Deutschland und international ansehen?
Vanessa: International lief die Dokumentation bisher auf Sky UK und ist auf Streamingdiensten in Großbritannien abrufbar. Für Deutschland wird gerade eine eigene Kinofassung hergestellt, die auf das deutsche Publikum zugeschnitten ist. Einen genauen Starttermin gibt es noch nicht, wird aber voraussichtlich im Frühjahr 2025 sein.